Mitbegründer der Informatik

Zum 100. Geburtstag von Karl Steinbuch

Karl Steinbuch gab der Computer-Wissenschaft ihren Namen – Der Visionär forschte und lehrte in Karlsruhe


Karl Steinbuch gilt als Mitbegründer der Informatik. In diesem Jahr wäre der Visionär des digitalen Zeitalters hundert Jahre alt geworden. Vor fast 60 Jahren wurde er Professor in Karlsruhe. Hier beschäftigte er sich früh mit künstlicher Intelligenz und erregte als Zukunftsforscher Aufsehen, indem er erstaunliche Voraussagen traf. Etwa, dass wir uns nach dem Jahr 2000 auf tragbaren Minicomputern Filme und Textnachrichten ansehen würden. Im Oktober erinnert das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit einer Feier an den nach seiner Emeritierung nicht unumstrittenen Vordenker der Informationsgesellschaft.

 


Karl Steinbuch 1958 bei seiner Verabschiedung von der Firma Standard Elektrik Lorenz. (Foto: KIT-Archiv)


Als der studierte Physiker im Frühjahr 1958 Professor an der damaligen Technischen Hochschule in Karlsruhe wurde, gab es dort nicht einen Computer. Dass sich hier einmal eine ganze Fakultät der automatischen Informationsverarbeitung widmen würde, ahnte damals wohl nicht einmal der weitblickende Steinbuch. Bei einer Kommunikationstechnik-Firma in seiner Heimatstadt Stuttgart hatte er zuvor zwar schon ein sogenanntes „Informatik-System“ entwickelt. Dieser erste deutsche halbleiterbestückte Rechner kam im Vertrieb beim dazumal bekannten Versandhaus Quelle zum Einsatz. Von der freien Programmierbarkeit war dieser Automat aber noch weit entfernt. Aber als eine Dekade später ein deutscher Name für die Computerwissenschaften gesucht wurde, setzte sich der von Steinbuch geprägte Begriff „Informatik“ durch.
 
„Das KIT forscht an den großen gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft in den Feldern Energie, Mobilität und Information. Unter den Disziplinen, die unser Forschungsprofil prägen, nimmt die Informatik eine hervorragende Stellung ein. Dass wir auf diesem Gebiet in Forschung und Lehre bis heute führend sind, ist auch der Pionierleistung von Karl Steinbuch zu verdanken“, sagt der Präsident des KIT, Professor Holger Hanselka.
 
Steinbuch entwickelte über siebzig informationstechnische Technologien, die patentiert wurden. Eines davon war die Lernmatrix, ein elektronisches System, das sich Buchstaben und andere Muster zur Wiedererkennung merken konnte; ein Vorläufer künstlicher Intelligenz und konzeptionelle Keimzelle der lernenden Maschine. Mitte der 60er Jahre zeigte Steinbuch, dass die Speicherkapazität von Rechnern im Laufe der Jahre exponentiell anwuchs und äußerte die Vermutung, dass dies auch in Zukunft so weitergehen würde. Ein Jahr vor der Veröffentlichung des Mooreschen Gesetzes. Steinbuch entwickelte das Konzept der Informationsgesellschaft – auch ein Begriff, den es vorher nicht gab. In seinem Buch „Die Informierte Gesellschaft“ entwarf er „Informationsbanken“, die heutigen Internet-Suchmaschinen ähneln. Zukunftsweisend waren auch seine Ideen zur Vernetzung von Computern untereinander und mit Gegenständen, die heute mit dem Internet of Things und Industrie 4.0 dabei sind, Wirklichkeit zu werden. Spätestens mit seinem Bestseller „Falsch programmiert“ von 1968, in dem er den Technikunwillen von Politik und Gesellschaft anprangerte, wurde Karl Steinbuch zum bekanntesten deutschen IT-Experten. „Dass unser Institut international eine führende Rolle einnimmt, ist auch ihm zu verdanken“, sagt Professor Jürgen Becker, Leiter des Instituts für Technik der Informationsverarbeitung (ITIV), das Steinbuch 22 Jahre leitete. Auch betrieb Steinbuch Zukunftsforschung. Mit seiner Forschungsgruppe für technische Prognosen bereitete er den Boden für das am KIT bestehende Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS).
 
Als 1969 an der Universität Karlsruhe (TH), einem Vorläufer des KIT, das in Deutschland erste Institut für Informatik gegründet wurde (1972 folgte eine ganze Fakultät), wurde Steinbuch nicht Mitglied. Die Wissenschaft, deren Namen er mitprägte, entwickelte sich an den deutschen Hochschulen mit einem deutlichen Schwerpunkt bei der Software, während Steinbuch auch gerade für die Hardwareseite stand. Daneben gab es aber auch persönliche Gründe. „Steinbuch formulierte oft außergewöhnlich direkt; Diplomatie war nicht seine Stärke“, sagt Dr. Klaus Nippert, Archivar des KIT. Nach der Bundestagswahl 1969 wurde Steinbuch – damals der SPD nahe stehend – als Kandidat für das Ressort Bildung und Wissenschaft im Kabinett des Bundeskanzlers Willy Brandt gehandelt, denn seine Thesen fanden Zustimmung in einem breiten politischen Spektrum. Auch Steinbuchs heute eher fremd erscheinendes Verständnis von Politik als „zentraler Steuerung“ mit technokratischen und entschieden industrieorientierten Zügen bewegte sich laut Nippert in einem damals üblichen Rahmen. „Von partizipativen Strukturen und den Reformprogrammen der 1960er Jahre hat Steinbuch nicht viel gehalten“, so Nippert weiter. „Auch die Idee des Naturschutzes, aus heutiger Sicht ein hohes Gut, war für ihn, wie für viele damals, ein Bremser der wirtschaftlichen Entwicklung.“
 
In seinen Ansichten rückte Steinbuch nach und nach von der politischen Mitte ab. Nach seiner Emeritierung wendete sich Steinbuch zunehmend der rechten Seite des politischen Spektrums zu. In hohem Alter veröffentlichte er schließlich regelmäßig Artikel in der NPD nahestehenden Zeitschriften.
 
„Wir teilen die politischen Ansichten, die Steinbuch in hohem Alter vertrat, nicht. Das beeinträchtigt aber nicht unsere Anerkennung und unseren Dank für die Lebensleistung von Karl Steinbuch als herausragenden Vordenker unserer heutigen Informationsgesellschaft“, sagt der Präsident des KIT, Holger Hanselka.
 
Zu Steinbuchs wissenschaftlichem Wirken nach seiner Emeritierung zählte die Leitung der Forschungskommission Baden-Württemberg 1982, die Grundsätze für die Entwicklung des Bundeslandes im High-Tech-Zeitalter erarbeitete. Karl Steinbuch starb 2005 in seinem Haus in Ettlingen. 2008 erhielt das Rechenzentrum des KIT den Namen Steinbuch Centre for Computing.