Neues Übersetzungssystem für den humanitären Einsatz
Sprachbarrieren erschweren die Betreuung von Geflüchteten – Neues System verbessert Dialog zwischen Patienten und Therapeuten in Psychiatrie und Psychotherapie
Der Erfolg einer psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung hängt entscheidend von der Qualität der Kommunikation zwischen Therapeut und Patient ab. Bei Geflüchteten scheitert dies jedoch oft an Sprachbarrieren. Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wollen innerhalb des BMBF-Projektes RELATER ein tragbares, sicheres und erweiterbares Übersetzungssystem entwickeln für diagnostische Interviews mit Geflüchteten aus dem arabischen Sprachraum.
„Trotz globaler Vernetzung scheitert unsere Kommunikation oft an unterschiedlichen Sprachen“, erklärt Professor Alexander Waibel vom Institut für Anthropomatik und Robotik des KIT. „Dies zeigt sich auch bei der Betreuung, Behandlung und Integration von Geflüchteten ohne deutsche Sprachkenntnisse.“ Gerade bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen können sprachliche und kulturelle Unterschiede nicht nur zu Missverständnissen, sondern im schlimmsten Fall auch zu Fehldiagnosen führen. Therapeuten sind auf professionelle, aber meist fachfremde Übersetzer angewiesen, die in der Regel nicht finanziert sind und in einer Notfallsituation oft nicht anwesend sein können. Häufige Ortswechsel erschweren für Geflüchtete zudem einen kontinuierlichen Kontakt zum Therapeuten.
„Mit dem Projekt RELATER wollen wir den Austausch zwischen Geflüchteten und Behandlern gerade in Notfallsituationen verbessern, um eine korrekte Diagnose und eine darauf aufbauende zügige Behandlung zu ermöglichen“, sagt der Koordinator des Verbundes, Professor Andreas Meyer-Lindenberg, Vorstandsvorsitzender des ZI und Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. „Geplant ist es, auch eine Smartphone-App zu entwickeln, die einen kontinuierlichen Kontakt zum Therapeuten ermöglichen kann“, ergänzt Professorin Heike Tost, Leiterin der Arbeitsgruppe Systemische Neurowissenschaften in der Psychiatrie (SNiP) am ZI. Mit dem neuen smartphonebasierten Übersetzungssystem wollen die Partner des Verbundprojekts „Removing language barriers in treating refugees“ (RELATER) unter Federführung des ZI Sprachbarrieren beseitigen, Interaktion fördern und die interkulturellen Kompetenzen in der Psychiatrie und Psychotherapie verbessern. Hierfür soll ein selbstlernendes Übersetzungssystem das international etablierte Diagnose-Instrument M.I.N.I (Mini-International Neuropsychiatric Interview) unterstützen. Der maschinelle Übersetzer soll bei diagnostischen Erstgesprächen mit Geflüchteten, bei denen eine psychische Störung vermutet wird, zum Einsatz kommen und kontinuierlich optimiert werden.
Der Forschungsverbund führt erstmals psychologische und psychiatrische Expertisen mit den enormen Fortschritten in der cross-lingualen Kommunikation, im maschinellen Lernen und in den mobilen Kommunikationstechnologien zusammen. „Das Projekt zeigt, wie man Grundlagenforschung im besten Sinne an gesellschaftlichen Problemen orientieren kann“, betont Alexander Waibel. Zunächst wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen lokal installierten, serverbasierten Prototyp entwickeln, der in größeren Kliniken mit eigener Infrastruktur schnell eingesetzt werden kann. Diesen wollen sie dann zu einem tragbaren, vom Internet unabhängigen Gerät weiter optimieren und schließlich auch als Smartphone-App zur Verfügung stellen. In einer nationalen klinischen Studie mit Geflüchteten, deren Muttersprache arabisch ist und die in einer Erstaufnahmestelle registriert sind, soll das selbstlernende System dann evaluiert werden. Die im Projekt RELATER entstehende mobile Plattform soll zudem für eine nachhaltige Interaktion zwischen Patienten und Therapeuten zur Verfügung stehen.
Zusätzlich soll die Smartphone-App in ihrer Endversion nonverbale, paralinguistische Ausdrucksweisen wie Gestik, Mimik oder Lautstärke der Patienten berücksichtigen. „Gerade die Symptome psychischer Erkrankungen sind stark dynamisch und kontextabhängig. Entsprechend bieten sich hier smartphonebasierte Systeme zu deren Erfassung an, beispielsweise über elektronische Tagebücher, sogenannte e-diaries“, sagt Professor Ulrich Ebner-Priemer, Leiter des mental mHealth Lab am Institut für Sport und Sportwissenschaft des KIT.
Das im Februar 2019 gestartete Verbundprojekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für vier Jahre mit rund 3,8 Millionen Euro gefördert. Seitens des KIT beteiligen sich das Institut für Anthropomatik und Robotik (IAR) und das Institut für Sport und Sportwissenschaft (IfSS) an dem Projekt.
Über das ZI
Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim steht für international herausragende Forschung und wegweisende Behandlungskonzepte in Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Suchtmedizin. Seine vier Kliniken gewährleisten die psychiatrische Versorgung der Mannheimer Bevölkerung. Psychisch erkrankte Menschen aller Altersstufen können hier auf fortschrittlichste, auf internationalem Wissensstand basierende Behandlungen vertrauen. In der psychiatrischen Forschung zählt das ZI zu den führenden Einrichtungen Europas. Das Institut arbeitet eng mit der Universität Heidelberg und der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg zusammen. Mit über 1.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist das ZI einer der großen Arbeitgeber Mannheims.
Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 9 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 25 100 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen.